Haben wir, die wir vom Reisevirus infiziert sind, nicht alle den Traum, wenigstens für eine Weile mal auf einer kleinen Insel in der Südsee zu leben, nicht arbeiten zu müssen und einfach in Einklang mit der Natur und den Gezeiten ein Leben zu leben, das nicht vom Takt der Stechuhr bestimmt ist, das nicht seinen Sinn durch sinnlosen Konsum definiert. Wenn du so jemand bist, dann sucht dich die Gemeinde der kleinen Südseeinsel Pitcairn – und sie gibt dir sogar Land, wenn du dich entscheidest, dort zu leben. Was Leute, die nach Pitcairn auswandern wollen, beachten sollten.
Viele Gesellschaften haben mit den Herausforderungen des demographischen Wandels zu kämpfen. In Deutschland sterben Dörfer aus, in Süditalien bekommt man Häuser geschenkt, wenn man im Gegenzug in die Infrastruktur investiert und auf der klitzekleinen Insel Pitcairn bekommt man Land geschenkt, wenn man sich dort ansiedelt. Man muss nicht arbeiten, wenn man genug Geld hat, um über die Runden zu kommen, aber es wird natürlich gerne gesehen, wenn man etwas zu der kleinen Inselgemeinschaft beisteuert. Das klingt zu schön, um wahr zu sein? Ok, einen kleinen Haken hat die Sache.
Nach Pitcairn auswandern – Die Nachteile
Pitcairn liegt ziemlich weit abseits im Südpazifik, um genau zu sein mitten im Nirgendwo zwischen Französisch Polynesien und den Osterinseln. Einen Flughafen gibt es hier nicht und auch keine Südseestrände, denn die Insel ist ein großer Felsen ohne schützendes Riff. Es gibt nicht mal einen Hafen. Die Bucht von Pitcairn ist zu schmal, als dass die Transportschiffe oder Kreuzfahrtschiffe hier landen könnten.
Die Insel ist berühmt für ihre ersten Siedler. Das waren die neun Meuterer auf der Bounty, die sich 1789 gegen ihren despotischen Kapitän auflehnten und diesen kurzerhand in einem Beiboot aussetzten. Die neun Meuterer mit sechs polynesischen Männern und zwölf polynesischen Frauen landeten schließlich auf Pitcairn und ließen sich dort nieder. Nicht wegen der atemberaubenden Schönheit der Insel, sondern weil man darauf hoffte, auf diesem gottverlassenen Eiland nicht von der britischen Krone aufgespürt zu werden. Die ca. 55 Einwohner, die dort heute noch leben, sind fast alle Nachfahren der Meuterer.
Ja genau, ihr habt richtig gelesen: 55 Menschen leben dort. Es gibt dort zwei Geschäfte und eine Post, ein Krankenhaus, eine Schule und ein Museum. Das war es im Großen und Ganzen. Vier Mal im Jahr kommt ein Versorgungsschiff aus Neuseeland und bringt alles Notwendige auf die Insel. Entsprechend ist die Inselwährung der Neuseeland Dollar, auch wenn die Insel ein Überseeterritorium von Großbritannien ist und auch Fördergelder der EU bekommen hat – jedenfalls bis zum 31. Januar 2020.
Nano- Ökonomie auf Pitcairn in der Südsee
Neben dem Versorgungsschiff gibt es auch Passagierschiffe, die alle paar Monate ein paar Touristen mitbringen. Der Tourismus, mit Besucherzahlen von unter 100 im Jahr, ist auch eine der Haupteinnahmequellen. Ansonsten wird ein bisschen Handel mit den Schiffsbesatzungen betrieben – ein bisschen Fisch, ein bisschen Honig – was auf einer kleinen Insel eben so anfällt. Vor ein paar Jahren hat man Briefmarkensammlern aus der ganzen Welt die eigenen Briefmarken der Insel verkauft, aber wer sammelt im 21. Jahrhundert noch Briefmarken? Entsprechend hat man umgesattelt und Internetdomains verkauft.
Überhaupt Internet: Das letzte, was ich dort erwarten würde, ist WLAN, doch tatsächlich ist die ganze Insel per Satelit abgedeckt. Nicht ganz billig, aber Internet. Wer sein Business im Internet betreibt, könnte hier lernen, was „ortsunabhängig arbeiten“ im Extremfall bedeuten kann. Allerdings ist die Geschwindigkeit natürlich nicht vergleichbar mit dem Internet, wie wir es kennen. Fernsehen gibt es auch, allerdings nur einen australischen Sender und eine Art Bibel TV, aber wer in Deutschland in den 70’ern aufgewachsen ist, hatte auch nur drei Sender und hat es überlebt.
Wer sich für eine Niederlassungserlaubnis dort bewerben möchte, sollte vermutlich zunächst mal Urlaub dort machen. Bis zu 14 Tage kann man ohne Visum dort einreisen. Bis zu sechs Monate kann man mit einem Besuchervisum bleiben. Man kann die Niederlassungserlaubnis auch beantragen, ohne je dort gewesen zu sein, aber zu empfehlen ist das sicherlich nicht, denn es erfordert schon eine Testphase herauszufinden, ob man für ein solches Leben 2000 Kilometer von der nächsten Partymeile entfernt, geeignet ist.
Vergewaltigungsprozesse auf Pitcairn – was Isolation mit einem macht
Wer an dem Bild von der Südseeromantik und dem freien Leben in einer friedlichen kleinen Inselgemeinschaft festhalten will, wird seit 2014 neu bewerten müssen, was Isolation und die Abwesenheit von staatlicher Autorität eben auch hervorbringen kann. Zu der Zeit stellte sich heraus, dass die Mehrzahl der männlichen Bewohner der Insel sehr laxe Einstellungen zum – theoretisch – auf der Insel geltenden Sexualstrafrecht hatten. Sieben der zwölf Männer auf der Insel wurden wegen Kindesmissbrauchs und Vergewaltigung angeklagt und am Ende teilweise zu lebenslanger Haft verurteilt. Wiederum eher theoretisch, denn was macht man mit einem verurteilten Vergewaltiger, wenn er doch der einzige ist, der das Longtailboat der Inselbewohner steuern kann, mit dem die Bewohner zu den vorbeifahrenden Kreuzfahrtschiffen hinausfahren, um Handel zu treiben.
Die sehr pragmatische Lösung: Man baute ein kleines Gefängnis auf der Insel, wo die Verurteilten ihre Strafe absitzen – wenn sie nicht gerade als Freigänger wichtige Tätigkeiten für die Inselgemeinschaft vollführen. Absurderweise wurde der Staatsanwalt, der aus Neuseeland eintraf, um unvoreingenommene Ermittlungen auf der Insel aufzunehmen, von Angeklagten vom Transportschiff abgeholt und mit dem Longtailboat an Land gebracht. Das betraf auch Steve Christian, einen direkten Nachfahren von Fletcher Christian, dem legendären Anführer der Bounty- Meuterer. Er war der Bürgermeister der Insel Pitcairn und genoss gottgleiche Autorität auf der Insel. Auch er wurde wegen Vergewaltigung fünf junger Mädchen verurteilt.
Sein Nachfolger, Shawn Christian, soll die Inselgemeinschaft wieder zusammenführen und versöhnen helfen. Das dürfte nicht einfach sein, denn auch er – sein Nachname verrät ebenfalls die Nachfahrenschaft Fletcher Christians – ist ein verurteilter Vergewaltiger.
Franca Schneider reiste 2015 – während der Prozesse – für drei Monate nach Pitcairn. Ihr Bericht ist erschütternd und lesenswert zugleich. Macht er Lust auf das Abenteuer „Leben auf einer einsamen Insel“? Ich glaube nicht. Sehr lesenswert ist auch das Interview, das die FAZ 2006 mit einem ehemaligen Auswanderer geführt hat, der das Inselleben als Kleinkrieg zwischen den einzelnen Familien beschreibt, wo materiell und spirituell verarmte Menschen leben, die kaum lesen und schreiben können.
Es muss einem also klar sein, dass man dort nicht auf weltoffene, spirituelle Freigeister trifft sondern auf Menschen, die tagtäglich um das Überleben in der Isolation kämpfen.
Nach Pitcairn auswandern – Bewerbung für das Leben in der Südsee
Natürlich hat auch Pitcairn Vorstellungen vom Anforderungsprofil für potentielle Bewerber. Neben der dringenden Auffrischung des Genpools soll das Bewerberprofil natürlich einen Gewinn für die Inselgemeinschaft bringen, sei es durch besondere handwerkliche oder sonstige nützliche Fähigkeiten oder durch Business Ideen, die einen Nutzen für die Insel mit sich bringen. Darüber hinaus möchte man Menschen im erwerbsfähigen Alter, am liebsten junge Familien auf die Insel locken. Man muss außerdem genug Geld für zwei Jahre nachweisen können und eine Auslandskrankenversicherung abschließen, die medizinische Hilfe im nächstgrößeren Krankenhaus oder gar Neuseeland/Australien abdeckt.
War die Bewerbung erfolgreich, so muss man mit der Niederlassungserlaubnis innerhalb eines Jahres einreisen. Man kann dann einen Antrag stellen, dass einem ein Stück Land gegeben wird, auf dem ihr euch ein Häuschen bauen könnt. Während das Land nichts kostet, wird das Haus vermutlich nicht ganz billig, wenn man bedenkt, dass so ziemlich alles dafür aus Neuseeland importiert werden muss. Es soll aber auch einen Builder auf der Insel geben, der mit den Materialien, die die Insel zur Verfügung stellt, einfache Häuser baut.
Nach einer Eingewöhnungszeit von zwei Jahren wird dann schließlich gemeinsam die Entscheidung gefällt, ob man bleiben möchte und darf. Nun wird dann auch das bisher ohne Pachtgebühr gepachtete Land euch überschrieben. Man muss sich der Tatsache bewusst sein, dass jegliche Investitionen buchstäblich in den Sand gesetzt sind, wenn man sich an diesem Punkt entscheidet, dass das Leben dort nichts für einen ist. Diese Entscheidung kann auch die Inselgemeinschaft fällen, so dass man quasi zwangsenteignet werden kann.
Der Antrag kostet immerhin 500 NZ Dollar. Man sollte sich also vorher überlegen, ob man den Schritt wirklich gehen will. Wer nützliche Fähigkeiten z.B. im medizinischen Sektor oder als Lehrer hat, kann auch auf Jahresbasis dort Anstellung finden. Man bekommt übrigens keine britische Staatsangehörigkeit sondern nur die Erlaubnis,, sich auf Pitcairn niederzulassen.
Wer interessiert ist, findet mehr Infos auf der Website der Immigration of Pitcairn. Und wie ihr da hinkommt, könnt ihr auf kiwi.com ausprobieren.
Nach Pitcairn auswandern – Fazit
Leben auf einer einsamen Insel im Extremformat. Es ist sicherlich nicht Hawaii oder Bora Bora, was euch auf Pitcairn erwartet. Dafür seid ihr willkommen und könnt euch ein Leben in Abgeschiedenheit aufbauen. Doch wer nach Pitcairn auswandern will, sollte sich gut auf die Isolation einstellen, die das Leben weit abseits der Zivilisation mit sich bringt.
Wenn ihr verreist, solltet ihr unbedingt darauf achten, dass ihr mit einer Auslandskrankenversicherung ausreichend abgesichert seid. Wir stellen euch die drei beliebtesten Langzeit- Auslandskrankenversicherungen für Backpacker vor. Außerdem empfehle ich euch die Lektüre meiner aktualisierten Übersicht zu den besten kostenlosen Reisekreditkarten 2021.
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Wer schreibt denn hier?
Kai hat sich 2015 nach Jahren des Reisens schrittweise aus Deutschland verabschiedet und lebt seitdem die meiste Zeit des Jahres in Asien. In seinem früheren Leben hat er 10 Jahre in der Arbeits- und Sozialrechtsberatung gearbeitet.
Internet-Märchen:
„Sieben der zwölf Männer auf der Insel wurden wegen Kindesmissbrauchs und Vergewaltigung angeklagt und am Ende teilweise zu lebenslanger Haft verurteilt.“
„Wegen Vergewaltigung und sexueller Übergriffe verhängte ein Gericht zwischen zwei und sechs Jahren Gefängnis.“ Quelle: FAZ